So many books and so much music – so little time

So wie es manche Leute für ihr Seelenheil benötigen, „zwischen den Jahren“ die Steuererklärung zu machen oder den Keller auszumisten, ist es mir ein Bedürfnis, die Platten und Bücher zu würdigen, für die ich vollmundig Besprechungen angekündigt hatte – und genau das schlicht nicht geschafft habe. Und ich meine nicht die verzichtbaren Veröffentlichungen, die man peinlich berührt, gelangweilt oder angewidert unter den Tisch fallen lässt, sondern richtig gute Sachen…

… wie zum Beispiel Matthew Collins Buch „Rave On“, das im Sommer in deutscher Übersetzung bei Hannibal erschienen ist – passend zum 30. Geburtstag von Techno also. Vor gut zwanzig Jahren schrieb Collin zusammen mit John Godfrey sein erstes Buch über Techno: „Altered State – Im Rausch der Sinne“. In „Rave On“ untersucht er, wie sich die Szene(n) gewandelt haben – und zwar weltweit. Collin nimmt seine Leserschaft mit auf eine elektromusikalische Reise von Detroit über Berlin und Ibiza, aber auch an weniger naheliegende Orte wie Südafrika oder die Arabischen Emirate. So entsteht – mit jeder Menge Namedropping und Dancefloor-Feeling – ein aktuelles globales Bild von Techno. Ganz ohne Nostalgie und „weißt du noch…“-Schwelgereien.

Oder: „Homo Punk History“ von Philipp Meinert, erschienen bei Ventil. Eine längst fällige Untersuchung, die sich schwulen, lesbischen, queeren Punk-ProtagonistInnen widmet – so persönlich wie nötig und umfassend wie möglich, mit zum Teil erstaunlichen Details. Schwerpunkt liegt auf schwulen Männern, aber das ist auch schon der einzige Kritikpunkt.

Ich habe nicht nur Musikbücher nicht besprochen: Unda Hörners schönes Buch „1919. Das Jahr der Frauen“ zum Beispiel verdient Lob und Lektüre en masse. Andererseits steht das hundertste Jubiläum des geschichtsträchtigen Jahres 1919 ja erst noch an, es ist also keinesfalls zu spät, auf  dieses Buch hinzuweisen: Vor hundert Jahren wurde beispielsweise das Frauenwahlrecht in Deutschland durchgesetzt – im Frankfurter Historischen Museum kann man noch bis 20.1.19 eine Ausstellung zum Thema besuchen. Unda Hörner, Autorin zahlreicher Bücher über interessante Frauen, erzählt anhand von Persönlichkeiten wie Hannah Höch, Rosa Luxemburg, Käthe Kollwitz und Coco Chanel von den politischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Umwälzungen des Nachkriegsjahres 1919.

Auch das schöne Hörbuch „Landschaft“, eine Gemeinschaftsproduktion von Poetin Ulrike Almut Sandig und dem ukrainischen Musiker Grigory Semenchuk habe ich zwar höchst angetan goutiert, aber leider nirgends davon kundgetan. Das tue ich jetzt und hier: Die Kombination aus Beats und Klangflächen, deutschen und ukrainischen Gedichten ist so faszinierend wie spannend – und geht über gefühlige Bekenntnisse zu einer wo auch immer verorteten „Heimat“ weit hinaus. Eher sind es Liebeserklärungen an Stimmungen und Momente – interessant zu wissen auch, dass im Deutschen und Ukrainischen das Wort Landschaft identisch ist.

Als die DVD „Amy Winehouse – Back to Black“ ins Haus flatterte, war ich sehr begeistert und bin es noch. Die DVD besteht aus zwei Teilen: Einer Dokumentation zur Entstehung des legendären Albums „Back to Black“ inklusive Interviews mit Mark Ronson und verschiedenen Musikern; Teil zwei ist ein Livemitschnitt eines halbstündigen Clubkonzerts, das am 10. Februar 2008 in London stattfand – dem Tag, als Amy fünf (!) Grammy Awards gewann, wegen ihrer Drogengeschichte aber nicht in die USA einreisen durfte, um die Preise persönlich in Empfang zu nehmen. Das Konzert zeigt Amy in prima Verfassung, sie singt ein Stück von den Specials und ach, ach, ach. Schön, dass dieses Dokument aufgetaucht ist.

Die beiden hier gezeigten nicht besprochenen LPs schmerzen mich besonders, weil sie besonders gut sind: „Alles vor und nach dir“ von der Hamburger Band Le Roi et Moi (ja genau, wie der Film mit Yul Brynner) klingt so leicht und locker soulful-elektropoppig, dass es nichts als Freude macht. Aber zum Glück haben Platten ja kein Verfallsdatum, sondern kommen umstandslos mit ins nächste Jahr – wie auch „No Place for a Man“ vom Stuttgarter Duo Mondo Sangue, das sich vor einiger Zeit mit dem Fake-Soundtrack zu einem Kannibalenfilm namens „L’Isola dei dannati“ schwer beliebt gemacht hat. Ihr 2018er Score zu einem nie gedrehten Spaghetti-Western ist genauso überzeugend, nicht zuletzt durch den Gesangsbeitrag eines berühmten Berliner Arztes namens Bela B.

CDs hab ich genauso lieb wie Vinyl: Die aktuellen Alben von Macy Gray („Ruby“ – sehr lebendig, soulig, poppig, reggaelastig, inklusive Duett mit Meghan Traynor), Barbra Streisand („Walls“ – neue Songs UND Coverversionen von u.a. „Imagine“ und „What the World Needs Now“) und vor allem der australischen Band Parcels, die wie Air, Daft Punk und Phoenix in einem klingt, also herrlich, hätte ich gern ausgiebiger besprochen, allein, es sollte nicht sein.

Dafür an dieser Stelle wenigstens ein Video mit einem meiner liebsten Lieblingslieder 2018 und keine guten Vorsätze für 2019 (außer diesen Blog besser zu pflegen) – in das ich jetzt gelöst und entspannt hineinfeiern kann 🙂