Marieluise, Ruth & Mary

Vor ein paar Wochen beklagte ich mich an dieser Stelle über das Übergewicht männlicher Rockstarbiografien auf meinem Nachttisch – inzwischen hat sich der Schwerpunkt komplett verändert, siehe Beitragsfoto. Man kann mir natürlich einen gewissen Hang zur Themenkomplexbildung beim Leseverhalten vorwerfen. Aber anders als durch strenges Sortieren käme ich ja zu gar nichts mehr.

Mein aktueller Lektüre-Themenkomplex widmet sich in jeglicher Hinsicht außerordentlichen, außergewöhnlichen Autorinnen, die alle im frühen ersten Drittel des letzten Jahrhunderts geboren wurden:

Marieluise Fleißer, Ruth Landshoff-Yorck, Mary McCarthy. Fleißer (1901 in Ingolstadt geboren, 1973 dort auch gestorben) ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen, ihr unverwechselbarer Stil wird der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Sie war mit Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger befreundet, ihr Privatleben war von aufreibenden, kräftezehrenden Beziehungen bestimmt; ein durch die Nazis auferlegtes Schreibverbot und schwierige finanzielle Verhältnisse führten zu Nervenzusammenbrüchen – ihre Werke wie das Drama „Pioniere in Ingolstadt“ oder die Geschichtensammlung „Ein Pfund Orangen“ machten sie unsterblich und wirken auch heute erstaunlich zeitgemäß. Was bisher nicht so sehr bekannt war, ist Fleißers Faible für Mode und Bildende Kunst. Der beim Schweizer Nimbus Verlag erschienene Faksimile-Band „Im Wirtshaus ist heut Maskenball“ zeigt Marieluise Fleißer von einer neu(entdeckt)en Seite: Für ihre kleinen Neffen Klaus-Dieter und Gerdi kreierte Fleißer 1942 ein Collagenalbum, in dem sie aus Zeitschriften ausgeschnittene Modezeichnungen und -fotografien neu zusammensetzte und mit kleinen Gedichten und mädchen fleisser

Notizen versah.

Das Album wurde von ihren Erben lange Zeit als „zu privat“ für die Veröffentlichung betrachtet, zum Glück überlegte man es sich doch anders. Man erkennt Fleißers Blick für und Spaß an Mode – eine Mini-Retrospektive der 1940er-Jahre-Mode ist das Album, ergänzt durch einen Band mit Texten über Fleißers Leben und Werk von u.a. Annette Hülsenbeck und Eva Pfister. Ein Werk, das sich erst auf den zweiten Blick offenbart, dann aber umso mehr ans Herz wächst.

Eine unfassbar temporeiche, an besonderen Ereignissen übervolle Biografie hat die 1904 geborene Ruth Landshoff-Yorck vorzuweisen, Deutschlands vielleicht einziges wahres Flappergirl – die wie so viele andere brillante Geister ihrer Epoche in den Jahren des Naziregimes mit Veröffentlichungsverboten zu kämpfen hatte und 1933 erst nach Frankreich, England, in die Schweiz und schließlich, 1937 nach New York emigrierte. Ruth, geborene Levy, war die Tochter eines Ingenieurs und einer Opernsängerin, außerdem die Nichte des Verlegers Samuel Fischer. Oskar Kokoschka malte sie als junges Mädchen, sie besuchte die Schauspielschule und trat im Ensenble Max Reinhardt auf. Mit Mitte Zwanzig heiratete sie den flotten David Yorck von Wartenburg, dessen Namen sie auch nach der Scheidung behielt – braves Eheleben war ohnehin nichts für die emanzipierte junge Frau, die schnelle Autos liebte und deren amouröse Beziehungen Legion waren. Beinah noch interessanter als ihr Privatleben ist allerdings ihr literarischer Nachlass, der seit 2001 beim nicht hoch genug zu lobpreisenden Berliner Verlag AvivA erscheint. Landshoff-Yorck schrieb journalistisch und literarisch; Artikel für Zeitschriften wie „Die Dame“, ihr erster Roman „Die Vielen und der Eine“ erschien 1930 bei Rowohlt – der nächste durfte in Deutschland schon nicht mehr erscheinen. Ihre Feuilletons aus den zwanziger Jahren sind nun unter dem Titel „Das Mädchen mit wenig PS“ erschienen und sind ein großer Spaß. Bissig, rasant und mit unbestechlichem Blick für zeitgeistige Erscheinungen schreibt Ruth L-Y über das Dasein als junge Frau im Berlin der roaring twenties: Autofahren (natürlich), Ausgehen (erst recht), Auskommen mit wenig Geld (na aber bitte!), Mode und ausgiebiges Flirten, das Leben als Frau in der Moderne, Abwimmeln von Verehrern resp. der Umgang mit schmerzhaftem Liebeskummer sind ihre Themen – keinesfalls jedoch sollte man Ruth Landshoff-Yorck als oberflächlich betrachten. Ihre Texte sind stets politisch (siehe ihr Blick fürs Wesentliche) und hypermodern (der Hang zum schnellen Autofahren ist nur ein Indiz). Vielmehr erstaunt, wie betulich deutschsprachige weibliche Literatur in späteren Jahren wieder werden konnte – aber klar, Ruth Landshoff-Yorck lebte und arbeitete bis zu ihrem Tod 1966 ja in New York…
Parallel zu Landshoffs eigenen Texten ist auch eine sehr gute Biografie von Thomas Blubacher erschienen, sollte man am Besten gleichzeitig (ok, das geht wohl nicht), aber zumindest als jeweilige Ergänzung lesen.

Mary McCarthys dicker Roman „Die Clique“ (Original „The Group“ von 1962) dürfte den meisten bekannt sein… – was, nicht?? Doch, doch, ihr kennt „Die Clique“ – beziehungsweise das Surrogat der späten 1990er, „Sex and the City“. Autorin Candace Bushnell, die auch das Vorwort zur aktuellen Ausgabe von „Die Clique“ verfasst hat, schrieb die Vorlage zur TV-Serie – mit deutlichen Anleihen bei McCarthys Buch, womit Bushnell nie hinterm Berg gehalten hat. Einen Kommentar zu „Sex and the City“ erspare ich mir und anderen (ehrlicherweise könnte ich auch nichts Wesentliches beitragen: Ich habe weder Serie noch Film je gesehen. Das ist die Wahrheit.) und empfehle dafür heiß und innig die Lektüre von „Die Clique“. Die 1912 in Seattle zur Welt gekommene Mary McCarthy war hochintellektuell, zeitweise Trotzkistin, dick befreundet mit Hannah Arendt und heftige Kritikerin des Vietnamkriegs. Also eigentlich keine typische Frauenromanautorin, aber „Die Clique“ ist auch kein typischer Frauenroman, nicht für seine Zeit und auch heute ohne Vergleich. Die Handlung findet im New York der 1930er Jahre statt, nach der Reihe werden die acht Mitglieder der Clique = Kommilitoninnen in frühen Semestern eingeführt. Die jungen Frauen stammen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, sind bettelarm oder obszön wohlhabend, suchen nach Abenteuern, einer Zukunft, Sex, der großen Liebe und DEM EINEN, der bei „Sex and the City“ wohl Mr. Big ist. Aber die Rahmenhandlung ist das eine, Stil und Details das andere. McCarthy schreibt in ungewöhnlicher Direktheit über Sex (sehr direkt), beschreibt das Mit- und Gegeneinander innerhalb einer weiblichen Gemeinschaft schonunglos und gleichzeitig mit viel Empathie. Ihre Figuren sind keine Schablonen wie in den vielen (und berühmteren) Nachahmerprojekten, sie entwickeln sich und sind komplex strukturiert. Ja, man kann „Die Clique“ als direkten Vorläufer zu „Sex and the City“ sehen – wird damit McCarthys Buch aber nur zum kleinen Teil gerecht. Candace Bushnell hat nach eigener Aussage das Buch -zig Male gelesen – genau das möchte man all den „Sex and the City“-Fans unbedingt nahelegen!

Marieluise Fleißer: „Im Wirtshaus ist heut‘ Maskenball“ (Hg. von Karl Manfred Fischer, Nimbus. Kunst und Bücher, Faksimile + Buch im Schuber, ISBN 978-3-03850-004-9)
http://www.nimbusbooks.ch

Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS. Feuilletons aus den zwanziger Jahren (Hg. und mit einem Nachwort von Walter Fähnders, AvivA Verlag, ISBN 978-3-932338-81-6)
http://www.aviva-verlag.de

Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck (Insel, ISBN 978-3-458-17643-5)

Mary McCarthy: Die Clique (Mit einem Vorwort von Candace Bushnell, ebersbach & simon, ISBN 978-3-86915-113-7)
http://www.ebersbach-simon.de